«Das Diplom wird in der Praxis höchst anerkannt. Es belegt umfassendes Fachwissen wie auch die Fähigkeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und öffnet Türen für die berufliche Zukunft.»

Dave Müller, Aarau

Interview im Fachmagazin Standard 4/2023 von veb.ch

Die Schlagzeile «Buchhalter aus Leidenschaft» in der Finanz- und Wirtschaft im Porträt des neuen Chief Financial Officer der Calida Group hat unsere Neugier geweckt. Wer ist Dave Müller, der im Jahr 2012 das Diplom als Experte in Rechnungslegung und Controlling gemacht hat und eine eindrückliche Karriere im Textilbereich vorzuweisen hat? Im Interview gewährt er spannende Einblicke zu seiner Person und zur Tätigkeit beim traditionsreichen Schweizer Unternehmen in Sursee.

Herr Müller, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Ernennung zum Chief Financial Officer der Calida Group diesen Sommer. Wie fühlen Sie sich in Ihrer neuen Position und welche Ziele haben Sie für die Gruppe?

Ich bin bereits seit zehn Jahren Teil der Calida Group, daher ist vieles nicht komplett neu für mich. Mit dem Wechsel von der Marke Calida in den Konzern kommen nun mehr strategische Themen auf mich zu. Die Gruppe verfolgt eine Multi-Brand-Strategie und legt Wert auf qualitativ hochwertige Marken, die sehr eigenständig geführt werden. Was ich sehr schätze: Alle unsere Produkte sind real und spürbar. Obwohl mein Herz immer noch für die Farbe Gelb schlägt, gibt es innerhalb der Gruppe noch viele andere «Farben». Der Austausch mit den anderen Konzernmarken ist sehr spannend. Mein Ziel ist es, ein aktives Mitglied bei der Umsetzung der neuen/überarbeiteten Strategie der Calida Group zu sein und die Zusammenarbeit zwischen den Marken, insbesondere auch im Finance, weiter zu fördern.
 

Die Calida Group ist in zwei Branchen respektive Geschäftsfeldern tätig, das eine ist die Unterwäsche/Lingerie und das andere sind Gartenmöbel. Wie verträgt sich das?

Im Sommerloch, wenn weniger Pyjamas verkauft werden, können wir mit Gartenmöbeln ausgleichen ... (lacht) Nein. Diese Entwicklung ist historisch bedingt und hat sich aus einer Akquisition ergeben, als die Lafuma-Gruppe gekauft wurde. Der Outdoor-Bereich wurde mittlerweile abgestossen, die Sparte mit den Gartenmöbeln ist geblieben. Auf den ersten Blick sind es zwar zwei komplett unterschiedliche Branchen, trotzdem sind einige Prozesse und auch die Herausforderungen im Markt sehr ähnlich. Und da die Marken Calida, Aubade, Cosabella wie auch Lafuma Mobilier sehr selbständig agieren können, beispielsweise mit eigener Geschäftsleitung und auch Finanzabteilungen, führt der Branchen-Mix zu keinen Effizienzverlusten. Daher funktioniert dies sehr gut nebeneinander. Als Konzern werden wir uns mittel- oder langfristig eher auf den Wäschebereich fokussieren.

Vor Ihrer Tätigkeit bei Calida haben Sie als Senior Accountant sowohl bei Volcom International als auch bei Ernst & Young gearbeitet. Können Sie uns kurz Ihren beruflichen Werdegang schildern?

Ursprünglich habe ich eine KV-Lehre bei einer Verwaltung in meiner Heimatgemein-de, einem 1500 Seelendorf, gemacht. Dort konnte ich sehr früh in der Finanzverwaltung mitwirken und habe erkannt, dass mir die Buchhaltung besonders gut liegt. Nach der Lehre habe ich in ein Treuhandbüro gewechselt. Am Morgen habe ich jeweils die Kisten mit Belegen unserer KMU-Kunden gefasst, die Buchhaltung nachgeführt, und am Abend fein säuberlich sortiert und geordnet wieder zurückgegeben. Später bei Ernst & Young hatte ich als Störbuchhalter meist über längere Zeit externe Einsätze in verschiedenen Finanzabteilungen. Das war eine spannende und lehrreiche Zeit, weil ich dadurch sehr viele Betriebe kennengelernt habe. Besonders die technischen Aspekte mit Systemen und Prozessen haben mich immer sehr interessiert, so konnte ich bei ERP-Einführungen mitwirken, helfen, solche weiterzuentwickeln oder generell Finanz-Prozesse zu optimieren. Danach habe ich mich für eine Weiterbildung an der Fachhochschule entschieden, und nicht für den klassischen «Buchhalter-Weg», weil der damalige Diplom-Lehrgang breiter aufge-stellt war. Hauptgrund war aber das Austausch-Semester im Ausland.
 

Wo waren Sie im Ausland?

In den USA, San Diego. Als ich diese Möglichkeit in den Studienunterlagen gesehen habe, war mein Entschluss rasch gefasst, und es hat dann auch mit meiner Wunsch-Destination, einem Surferparadies, geklappt  – rückblickend eine sehr coole Zeit!
 

Was war die Motivation, den dipl. Experten in Rechnungslegung und Controlling zu absolvieren, wenn man schon einen akademischen Abschluss hat?

Das war auch die Frage beim Kick-off zur Ausbildung in Brunnen. Die meisten haben darauf mit Argumenten zur beruflichen Karriere geantwortet. Ich war ehrlich und habe einen einzigen Hauptgrund genannt: Ich wollte mit 80 Prozent gleich viel verdienen wie mit 100 Prozent (lacht). Ich habe Familie und drei mittlerweile bereits grössere Kinder und mir war damals schon klar, dass ich Zeit mit meinen Kids verbringen will. Natürlich haben mich auch die fachlichen Belange in der Rechnungslegung und Controlling interessiert. Die Wirtschaftsprüfung ist weniger mein Ding. Ich war ja auch eine Zeit lang bei Ernst und Young im Bereich Accounting als Störbuchhalter tätig und kam in Betriebe, wenn jemand ausgefallen war. Mein Prozessverständnis half mir und ich konnte in der kurzen Zeit, mein Aufenthalt dauerte jeweils drei bis vier Monate, meist viel im Finanzbereich optimieren. Dann kam der Wunsch, irgendwo stationär zu sein. Auch wollte ich nicht bis zur Pensionierung im Anzug unterwegs sein – deshalb auch der Wechsel zu Volcom, einer Life- stylemarke, wo Surfen und Snowboarden allgegenwärtig war. Das entsprach meinem Lifestyle und Umfeld. Bei dieser Tätigkeit habe ich vermehrt gemerkt, dass mich nebst Buchführung und Reporting, also quasi dem Finance-Handwerk, auch das Analytische besonders interessiert. Somit war bald einmal klar, dass die Experten-Ausbildung für mich die richtige Wahl ist.
 

Wie kam der Wechsel zu Calida zustande?

Volcom wurde verkauft, woraufhin es eine Reorganisation gab. Zu dieser Zeit arbeitete ich im Europa-Headquarter in der Schweiz, das bald darauf geschlossen wurde. Der Textilbereich mit seinen Prozessen und Abläufen bei der Beschaffung faszinieren mich, deshalb bewarb ich mich sofort auf eine offene Stelle bei Calida, einem Schweizer Unternehmen mit einem Superbrand.
 

Ohne Anzug und Krawatte?

Das war auch meine erste Frage (lacht). Diesbezüglich geht es eher leger zu und her – natürlich nicht in Unterwäsche oder im Pyjama (lacht)!
 

In den letzten Jahren hatten Sie verschiedene Positionen im Finanzbereich inne. Was war Ihre grösste Herausforderung? Lag diese eher bei den Zahlen oder in der Führung resp. Leadership?

Die grösste Herausforderung in meiner neuen Rolle ist die stärkere Wahrnehmung von aussen. Ich bin es eher gewohnt, im Hintergrund zu agieren. In der Öffentlichkeit zu stehen und Interviews zu geben, wie dieses hier, ist neu und habe ich nicht gesucht. In einer leitenden Position gibt es immer wieder Bereiche/Situationen, die eher Überwindung kosten und uns aus der Komfortzone holen. Bei Calida hatte ich ein gutes Team und ich wurde auch in der Geschäftsleitung immer unterstützt. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den letzten fünf Jahren und mit der Pandemie waren per se eine grosse Herausforderung, mit dem vielen Hin und Her. Allem nachzukommen, mit dem Tagesgeschäft, der Buchhaltung und den Abschlüssen war alles andere als einfach. Durch diese wirtschaftlich unsicheren Zeiten als Finanzchef zu steuern, war herausfordernd.
 

Welche aktuellen Herausforderungen sieht die Modebranche, insbesondere Calida, in Anbetracht der Unsicherheiten und der VUCA-Welt , in der wir leben?

Auch nach der Covid-Pandemie ist die Planungsunsicherheit eine grosse Herausforderung. Für dieses Jahr waren wir optimistisch und erwarteten grundsätzlich für die Calida Group ein gutes Umsatzwachstum. Verschiedene politische (Ukraine-Konflikt) wie wirtschaftliche Faktoren (Inflation) wirken sich negativ auf die Konsumentenstimmung aus. Aktuell haben wir, wie auch unsere Händler, eher hohe Lagerbestände. Die Einzelhändler sind dadurch vorsichtig mit Nachbestellungen, und wir müssen die Produktionskapazitäten laufend überwachen und gegebenenfalls anpassen. Ausserdem müssen wir uns mit ständigen Ver-änderungen im Online-Handel wie auch im stationären Geschäft auseinandersetzen. Es ist eine Herausforderung, diese beiden Kanäle miteinander zu verbinden, um die Konsumenten bestmöglich zu bedienen. Die Möbel-Sparte hat in den Corona-Jahren zudem ein starkes Wachstum hingelegt, was sich in diesem Jahr wieder normalisiert. Hier scheinen die Konsumausgaben vermehrt wieder in den Urlaub zu fliessen, nachdem sich viele während der Pandemie zu Hause gemütlich eingerichtet haben.
 

Stichwort künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Automatisierung im Rechnungswesen. Welche Rolle spielen diese bei Ihnen im Accounting?

Ich denke, dass dies in Zukunft ein wichtiges Thema sein wird. Ein Beispiel dafür ist die Umstellung unseres Spesenprozesses von der herkömmlichen Methode mit Papierbelegen auf ein digitales Tool. Was die Blockchain-Technologie betrifft, sehe ich sie weniger als Zahlungsmittel wie bspw. mit Bitcoins als Vorteil. Ein konkretes Beispiel ist aus dem Beschaffungsprozess für Stoffe in der Türkei. Überspitzt ausgedrückt ist ein Dokument bei uns in der Buchhaltung kaum lesbar, nachdem es fünfmal ausgedruckt, dreimal gescannt und siebenmal gefaxt wurde. Das ist eigentlich absurd. Hier sehe ich viel Entwicklungspotenzial, um die Zeiten zu verkürzen und einen Single Point of Truth (SPOT) zu schaffen. Allerdings werden wir von regulatorischen Themen wie Kontrolle und Archivierung gebremst, die wir sicherstellen müssen. Es ist wichtig, dass diese Aspekte Hand in Hand gehen, damit wir Fortschritte machen können.
 

Bei der Datenanalyse arbeiten Sie mit Excel oder mit BI?

Wir haben ein BI im Einsatz. Für die Streuung der Informationen, insbesondere zur Weiterverarbeitung, bevorzugen die Leute nach wie vor Excel. Wir entwickeln unser BI auch laufend weiter, aber Excel wird uns noch länger begleiten. Dies ist womöglich auch eine Frage des Mindsets.
 

Themenwechsel. Wenn man in Ihrem Sortiment stöbert, findet man «kompostierbare Wäsche». Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit bei Ihnen?

Das Thema Nachhaltigkeit ist für uns sehr wichtig. Wir haben es auch in unserem Store gesehen. Unsere Produkte bestehen aus natürlichen Materialien, daher müssen wir uns um dieses Thema kümmern. Die Ressourcen sind begrenzt und als Produzent, der hauptsächlich in Europa und Nordafrika tätig ist, ist es schwierig, allen unterschiedlichen Regulierungen gerecht zu werden. So erstellen wir einen rund 100-seitigen Nachhaltigkeitsbericht. Ich bin mir nicht sicher, ob sich unsere Konsumenten und Bürger unter Nachhaltigkeit ein so umfangreiches Dokument vorstellen. Für uns bedeutet Nachhaltigkeit vielmehr, dass unsere Produkte überzeugen und wir nachweisen können, wie und wo sie hergestellt werden. Wir leben Nachhaltigkeit im Produkt selbst.
 

Nachhaltigkeit hat mehrere Dimensionen: unter anderem die Umweltaspekte, wie zum Beispiel der Klimawandel, aber auch die sozialen Aspekte, wie Kinderarbeit. Welche Auswirkungen haben diese auf Ihr Geschäftsmodell?

Da wir hauptsächlich in Europa und Nordafrika unterwegs sind, können wir die Einhaltung der Standards besser kontrollieren. Der International Social Compliance (ISC) ist ein wichtiger Punkt für uns, den wir einfacher überwachen können. Zudem sind wir in Ländern aktiv, in denen Mindestlöhne gelten, was die Kontrolle erleichtert. Schwieriger wird es bei der Produktion und der Frage, wie wir produzieren und welche Ressourcen wir benötigen – das beschäftigt uns intensiv.
 

Noch einmal zurück zu den Ladenlokalen: Wie sehen Sie die Zukunft von Online-Shops versus Ladenlokale und dem Treueprogramm von Calida «friends+forever»?

Grundsätzlich verfolgen wir eine Omni-Channel-Strategie. Wir möchten präsent sein und der Kundschaft alle Möglichkeiten bieten, um unseren Produkten zu begegnen. Geht es um neue Stoffe oder Farben, lässt sich dies in einem Store besser fühlen. Aber auch der modische Auftritt als Marke spielt eine wichtige Rolle. Der Ladenauftritt dient auch als Marketinginstrument und wenn er profitabel ist, ist das eine Win-Win-Strategie. Ein Treueprogramm kann beispielsweise wichtige Erkenntnisse über das Kaufverhalten liefern. Es stellt sich die Frage, wie sich grosse Konzerne mit ihren Warenhäusern weiterentwickeln werden. Zum Beispiel zieht sich Jelmoli vom Platz Zürich zurück und Globus verändert sich stetig. Das sind Kunden von uns, die auch auf die Käuferschaft Einfluss nehmen. Es ist spannend zu sehen, wie sich diese Kaufhäuser entwickeln und welche Strategien sie verfolgen.

Vor zehn Jahren haben wir eine Retail-Strategie entwickelt, die wir jetzt mit digitalen Anpassungen weiterführen. Online steht uns quasi die ganze Welt offen: Wir beliefern Länder, in denen sich ein stationäres Geschäft womöglich nicht lohnt. Dennoch ist es wichtig, dass wir stationär präsent sind. Wir bieten zum Beispiel die Möglichkeit an, dass Kundinnen und Kunden in den Laden gehen und dort etwas online bestellen können. Dadurch müssen wir nicht alles im Laden vorrätig haben und können gleichzeitig unsere Lagerbestände optimieren.
 

veb.ch hat im Sommer die Professional-Titel im Accounting eingeführt und hat damit auch ein wenig polarisiert. Wie ist Ihre Meinung als Diplom-Experte dazu?

In der Praxis finde ich es hilfreich, dass veb.ch die Professional-Titel im Accounting eingeführt hat. Wenn ich jemanden meinen Titel erklären müsste, wüsste ich nicht einmal die englische Übersetzung. Daher ist diese Harmonisierung sehr nützlich und macht Vergleiche einfacher. Und manchmal ist es notwendig, etwas zu polarisieren, um eine Entwicklung voranzutreiben.
 

Guter Schlaf ist wichtig. Können Sie uns abschliessend noch ein paar Tipps für einen besseren Schlaf geben? Sie haben ja auch die Linie «Deepsleepwear» bei Calida ...

Ja, ein Calida-Pyjama ist für einen tiefen Schlaf unerlässlich (lacht)! Ich schlafe damit immer gut. Natürlich spielt auch der mentale Bereich eine wichtige Rolle. Es ist wichtig, eine gewisse Lockerheit zu haben auch mal Dinge stehen zu lassen und abschalten zu können. Meine Frau kommt aus dem Gesundheitswesen und erinnert mich immer daran, dass wir bei Calida keine Leben retten. Wenn wir mal etwas nicht sofort lösen können, geht die Welt davon nicht unter. Es geht um Wäsche, Pyjamas, Gartenmöbel – ein guter Ausgleich im Leben ist doch wichtig.
 

Vielen Dank für das Gespräch.